Der Königsteiner Schlüssel und seine Geheimnisse
„Wegen des zu erwartenden großen Zustroms von Schutzsuchenden braucht die Regierung von Oberbayern von Beginn an die Unterstützung der Kommunen. Sehr gerne unterstützt die Landeshauptstadt München nach allen Kräften und mit den zur Verfügung stehenden Mitteln dabei“[1]. An dieser im Frühjahr 2022 gegebenen Zusicherung hat sich auch nach zwei Jahren nichts geändert. Nichts destotrotz entwickeln sich im Laufe der Zeit Fragen, die sich aus der Entwicklung heraus ergeben und zukünftige Entscheidungen beeinflussen.
„…Für die Verteilung der Geflüchteten aus der Ukraine auf die einzelnen Bundesländer wird der sogenannte Königsteiner Schlüssel angewendet. Die Länder sind nach § 44 Asylgesetz (AsylG) verpflichtet, die hierfür notwendige Zahl an Unterbringungsplätzen bereitzustellen. Der Freistaat Bayern ist nach der Erstaufnahme verpflichtet, die zugewiesenen Asylsuchenden verteilt auf die gesamte Landesfläche unterzubringen. Nach Maßgabe der Quoten des § 3 der Verordnung zur Durchführung des Asylgesetzes (Asyldurchführungsverordnung – DVAsyl) werden auf den Regierungsbezirk Oberbayern 35,6 % und davon 31,6 % auf die Landeshauptstadt München verteilt. Insgesamt kommen in der Landeshauptstadt München also etwa 1,75 % aller Geflüchteten unter, die nach Deutschland kommen.
Kommen also 50.000 Schutzsuchende aus der Ukraine nach Bayern, sind in München 5.625 Menschen unterzubringen, bei 100.000 Ankommenden sind das 11.250 Menschen.
Die Zuständigkeit und Verantwortung für die Unterbringung Geflüchteter in Bayern liegt primär beim Freistaat Bayern. Es ist offensichtlich, dass die staatlichen Unterbringungsmöglichkeiten nicht ausreichen werden. Eine Unterbringung in den dezentralen kommunalen Unterbringungssystemen ist unausweichlich und so seit dem 04.03.2022 auch von der Regierung von Oberbayern eingefordert. …“1.
„…Durch die steigenden Zugangszahlen von Geflüchteten aus der Ukraine und anderen Herkunftsländern steht die LHM dabei vor großen Herausforderungen. Die ROB hat die LHM bereits im Frühjahr 2022 dazu aufgefordert, 5.625 zusätzliche Bettplätze für Geflüchtete aus der Ukraine bereitzustellen. 80 % dieser Kapazität sind als längerfristige Unterkünfte zu schaffen. Die restlichen 20 % können auch durch kurz- und mittelfristige Unterbringungsmöglichkeiten erfüllt werden. …“2. So oder ähnlich wird seit Frühjahr 2022 die Ausgangslage für Beschlüsse zu Vorlagen Flüchtlingsunterkünfte etc. betreffend beschrieben.
Auf die Frage „Warum kommen so viele Flüchtlinge nach München?“ wird auf der offiziellen Seite der LHM geantwortet: „Nach dem deutschlandweiten Verteilungsschlüssel (Königsteiner Schlüssel) hat der Freistaat Bayern 15,56491 Prozent aller Geflüchteten aufzunehmen, davon wiederum entfallen nach § 3 Abs. 1 DVAsyl 35,6 Prozent auf Oberbayern. Die Landeshauptstadt München wiederum ist aus § 3 Abs. 2 DVAsyl verpflichtet, 31,6 Prozent aller auf Oberbayern entfallenden Geflüchteten aufzunehmen. Die Verteilung der Asylbewerber*innen auf Unterkünfte in München wird nach verfügbaren Kapazitäten durch die Regierung von Oberbayern vorgenommen. (Stand 01/2021)“3.
Die Sitzungsvorlagen zeigen auf, dass sich die genannte Bettenkapazitäten von 5.625 Bettplätzen lediglich auf Geflüchtete aus der Ukraine beziehen, nicht aber auf Geflüchtete aus anderen Herkunftsländern.
Insoweit stellen wir folgende Fragen:
- Wie ist der genaue Wortlaut der Forderungen der ROB vom 04.03.2022 und 17.07.2022?
- Werden in Flüchtlingsunterkünften, die für Geflüchtete aus der Ukraine geplant und genehmigt wurden, Geflüchtete aus anderen Herkunftsländern kurz- oder langfristig untergebracht? Wenn ja, wird der Bezirksausschuss oder Stadtrat darüber informiert?
- Stand 2023 waren insgesamt 8.753 Geflüchtete in den verschiedenen Flüchtlingsunterkünften untergebracht. Wie viele Bettenplätze müssen zusätzlich zu den 5.625 Bettenplätzen für Geflüchtete aus der Ukraine für Geflüchtete aus anderen Herkunftsländern zur Verfügung gestellt werden.
- Hat München neben der Zuteilung über den Königsteiner Schlüssel freiwillig mehr Geflüchtete aufgenommen?
- Wie hoch ist die aktuelle Zahl der Fehlbeleger in den Flüchtlingsunterkünften?
- Wird bei der gesetzlichen Vorgabe der Verteilungsquote nach dem Asylgesetz zwischen kurz-, mittel, oder langfristiger Unterbringungsmöglichkeit unterschieden?
- Welche Unterkünfte werden als „längerfristig“ definiert? Werden hier zum Beispiel auch Geflüchtete in Männerwohnheimen, Frauenhäusern, Wohnprojekte für Alleinstehende, Paare und Familien, Altenheime etc. berücksichtigt?
- Zahlen, die Auskunft über die Anzahl von Geflüchteten mit und ohne Aufenthaltsstatus außerhalb von Flüchtlingsunterkünften in München werden nicht erhoben.4 Wie werden Zielzahlen ausgewertet?
- Von der in der Asyldurchführungsverordnung festgelegten Quote kann abgewichen werden, wenn angemessener Wohnraum nicht zur Verfügung steht.5 Diesen Tatbestandmerkmal erfüllt die LHM. Wurden oder werden dahingehend Gespräche mit der ROB geführt?
1 Sitzungsvorlage Nr. 20-26 / V 05983, 17.03.2022
2 Sitzungsvorlage 20-26 / V 12517, 18.04.2024
3 https://stadt.muenchen.de/infos/fakten-zu-fluechtlingen.html
4 Antwortschreiben Az. D-HA II/V1 1612-3-0012 vom 12.10.2023
5 § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 DVAsyl